Auf nach Jugoslawien!

 

 

Es war Sommer am Chiemsee, die großen Ferien hatten gerade begonnen, als ich mit 12 Jahren mal so ganz nebenbei erfuhr, dass es dieses Jahr eine besondere Urlaubserweiterung geben wird: Wir fahren für 2 Wochen nach Jugoslawien! Hei, und es war nicht Camping im Wohnwagen oder Zelt, nein, es wird mein erster Urlaub in einem Ferienhäuschen!

 

Aufgeregt habe ich natürlich schon viel zu bald vorher angefangen, all das zusammen zu tragen, was ich unbedingt mitnehmen muss! Okay, für heutige Verhältnisse war es nicht wirklich viel: Taucherbrille, Flossen, Schnorchel, Schlauchboot, Kassettenrecorder und ein paar Kassetten und das war es soweit. Jetzt hieß es nur noch warten bis es los geht…

 

Endlich war es soweit! Der weiße Mercedes meines Vaters wurde gepackt, Wohnwagen und Vorzelt an meine älteste Schwester mit Mann übergeben und dann brummte der Diesel Richtung Autobahn. In mir brodelte die Vorfreude auf Meer, warme Luft, heiße Sonne, Sand, Fische und was einem als 12-jähriger noch so alles durch den Kopf geht.

 

Die Strecke wurde vorher sorgfältig auf der Landkarte ausgelotet, wichtige Punkte und Städte herausgeschrieben und Zwischenziele festgelegt. Gut, manche Pausen für die „Getränkerückgabe“ bei meiner Mutter waren einfach dem Zufall überlassen. Diese Vorgehensweise wird heute wahrscheinlich „Manuelles Navi“ genannt. Es ging als vom Chiemsee aus auf der A8 in Richtung Salzburg, dann über die Grenze nach Österreich, weiter auf die A10 und dann die grobe Richtung nach Süden. Heute führt die Autobahn weiter vorbei an Spittal nach Villach, aber damals waren viele Stücke der Strecke noch ausgebaute Landstraßen und bessere Schnellstraßen, aber eben noch keine Autobahn. Von Villach aus weiter in Richtung Wurzenpass, der Schrecken aller überladenen Autofahrer. Hier begegneten einem die Legendären Ford Transit, beladen bis zu den Gummipuffern, die mit ölstinkender Rauchfahne sich die Steigungen hochquälten, die Gastarbeiter der ersten Jahre, die die großen Errungenschaften aus Deutschland in die geliebte Heimat transportierten.

 

Unser Dieselchen brummelte, zeigte auch an der Temperatur an, dass es ihm dann doch recht warm war, aber er schnurrte den Berg hinauf ohne uns im Stich zu lassen.

 

Endlich dann in Jugoslawien angekommen, wand sich die Bundesstraße durch das nicht enden wollende Tal in Richtung Süden. Zu diesem Zeitpunkt war die heute befahrbare Autobahn in Teilstücken in Bau. Und weil dort kein Platz für  eine weitere Fahrbahntrasse an der Bergseite war, bauten die Leute dort einfach die Autobahn als fast unendliche Brücke ins Flussbett! Für mich sehr beeindruckend die Vorstellung, man fährt auf der Autobahn durch den Fluss! Ach, und wenn ich da so gerade in meiner Erinnerung schwelge, kaum zu glauben, was mir gerade durch den Kopf geht: Ich hörte meine Kassette, eine hellgrüne Musikkassette, und ich hörte das Lied „Mexico“ von den Les Humphries Singers! Das Tal weitete sich irgendwann und wir hielten auf Ljubljana zu, der Hauptstadt von Slowenien, rechts an der Stadt vorbei und neues Ziel Triest!

 

Es fing schon an zu dämmern, als wir von einer Kuppe aus in den vorgelagerten Bergen die nächtlich beleuchtete Stadt Triest mit ihrem Hafen sahen! Es war beeindruckend! Die Luft war warm, es roch intensiv nach Salzwasser und einfach südländischer Natur. Wir waren alle sehr müde und deshalb haben wir uns entschlossen, die Nacht auf einem Parkplatz zu verbringen und am nächsten Morgen weiter Richtung Rovinj zu fahren. Unser Ferienhäuschen wäre so oder so erst ab dem nächsten Tag zur Verfügung gestanden… So stellten wir unser Auto auf einem großen Parkplatz ab, der dauerhaft beleuchtet war und zum Teil auch schon von LKW´s genutzt wurde. Ich erinnere mich noch gut an die Gestalten, die dort herumirrten, meiner Mutter war das nicht ganz geheuer und auch mein Vater legte sich das große Brotmesser bereit, verriegelte alle Türen und lies nur das Schiebedach ein klein wenig offen für frische Luft. Ich weiß nicht mehr, wie lange meine Eltern noch brauchten, aber ich schlief nahezu auf Kommando ein bis zum nächsten Morgen.

 

Die ersten Sonnenstrahlen drückten durch die Zypressen und weckten uns zu früher Stunde. Die LKW´s um uns herum waren etwas zahlreicher geworden und die Fahrer tummelten sich vor einem Kiosk mit einem Becher Kaffee und schauten immer wieder zu uns herüber. Es war 1974 schon etwas außergewöhnliches, ein weißer Mercedes mit drei Deutschen besetzt, die kein Wort dieser slawischen Sprache beherrschten. Mein Vater holte am Kiosk einen Kaffee und einen Kakao und nach kurzem Frühstück starteten wir die letzte Etappe.

 

Heute führt die Autobahn recht weit im Landesinneren Richtung Pula, aber damals fuhren wir eine kleine, kurvige Küstenstraße entlang. Zerklüftete Felsen, staubige Straßen, Eselskarren und streunende Hunde und Katzen, daß war ein Bild wie aus längst vergangener Zeiten. Glitzernd funkelte das Meer in der grellen Sonne auf die Küste und der leichte Wind machte die Wärme erträglicher. Die Leute dort schauten einen an mit einer Mischung aus Neugierde und Skepsis.

 

Vormittags dann erhob sich in der Ferne die Stadt Rovinj mit dem Campingplatz und Ferienhaussiedlung, das Ziel unserer Reise. Unser Vorteil: Meinem Vater sein Jugendfreund Alfred war mit seiner Frau schon seit einer Woche dort auf dem angrenzenden Campingplatz mit seinem Wohnwagen, sodass wir wenigstens einen Ortskundigen an der Hand hatten. Wie gut dieses sein wird, zeigte sich bereits an der Pforte zum Campingplatz. Wenn zwei Männer versuchen sich zu verständigen, von denen der Eine nur Deutsch kann und der andere nur Jugoslawisch, dann kann da nicht wirklich was dabei rauskommen. So einigte man sich, ich und meine Mutter warten am Auto, damit niemand etwas klaut und er geht durch den Campingplatz, um Alfred ausfindig zu machen. Es dauerte nicht lange, da war die Begrüßung groß und ein Freund von Alfred kam zu uns und dolmetschte alles für die Unterkunft. Aber oh Schreck, die Vorstellung „Ferienhäuschen“ scheint in Jugoslawien eine andere zu sein als in Deutschland. Mein Vater meinte nur, eine Hundehütte wäre auch nicht viel kleiner… hier bleibe er nicht! Vater hatte gesprochen!

 

Jetzt war zuerst guter Rat teuer, aber der Campingplatzverwalter hatte eine Idee: Gleich neben dem Campingplatz gab es ein Hotel für Einheimische. Also kein Touristenbunker, sondern ein ganz einfach gehaltenes Hotel für Jugoslawen, die eben nicht den großen Geldbeutel haben. Und hier wurden wir einquartiert! Einfach, aber sehr sauber, sehr nettes Personal und vor Allem eine schöne Aussicht Richtung Meer. Gott sei Dank, der Urlaub war gerettet! Und der Preis schien akzeptabel, denn sonst wären wir nicht dort geblieben. Wir hatten Halbpension, also Frühstück und Abendessen, Mittags gab es Picknick am Meer oder eben etwas vom Kiosk, wenn man in der Stadt unterwegs war.

 

Zu meiner großen Enttäuschung gab es keinen Strand, dafür felsige Küste mit glasklarem Wasser, Millionen von Seeigel und ein Steg für kleine Boote. Und weil ich ja eh tauchen wollte, war mir klares Wasser und Felsen dann doch lieber… Schnell war der Tag vorbei und der Magen knurrte, so fanden wir uns im Hotelrestaurant ein. Der Ober kam, legte eine neue Tischdecke auf und fragte uns auf perfektem Jugoslawisch, was wir denn nun zu Trinken haben wollten…. Muss ich noch weiter erzählen? Klar muss ich! Eine Sprachbarriere tat sich auf und man suchte eine Lösung. An diesem Abend hat der Ober noch jemanden gefunden, der wenigstens ein paar Worte Deutsch konnte und wir haben dann so mit Händen und Füßen uns verständigt. Doch der Ober war gut drauf und überraschte uns am nächsten Morgen beim Frühstück. Da kam er an und hatte vier Teller mit Frühstück auf dem Arm und gab uns zu verstehen, was wir wollten. So zeigte jeder auf das, was er wollte, er schwirrte wieder ab und 10 Minuten später brachte er jedem seine Bestellung! Hei, das klappte super und irgendwie war es eine ganz besondere Sache, wenn wir zum Essen kamen.

 

Am Meer war über die Woche fast nichts los. Die Jugoslawen hatten noch keine Ferien, sodass lediglich am Wochenende etwas Trubel am Strand war. Das Meer war herrlich klar und ich eroberte als verkannter Spitzentaucher jeden neuen Quadratmeter Meeresboden. Ich entdeckte auch, dass man ohne Taucherbrille in Salzwasser wesentlich angenehmer schauen konnte, jedoch nach dem Auftauchen um das Brennen der Augen nicht herum kam.

 

Meine Tauchgänge wurden immer länger und tiefer, sodass ich irgendwann bis in die Tiefe der Seegurken kam. Ich weiß nicht mehr, wie es sich anfühlte, aber dafür noch ganz genau, dass mich beim Berühren ein unglaublicher Ekel überkam, der mich blitzartig auftauchen lies. Dagegen war die Begegnung mit einem kleinen Einsiedlerkrebs die helle Freude unter Wasser. Der kleine Bursche marschierte völlig unbeeindruckt einfach weiter, ohne einen Funken Angst zu zeigen.

 

Aber da gab es auch noch eine weniger schöne Erfahrung, die ich meinen Eltern während des Urlaubs auch verheimlichte. Ich war wieder so in drei, vier Meter Wassertiefe und sammelte irgendetwas ein, als ich ohne nach oben zu schauen auftauchte. Ich registrierte nur noch, dass im letzten Moment die Sonne verdunkelt wurde und in dem Moment, als ich den Kopf aus dem Wasser hob, um tief Luft zu holen, tja, da war dann das Schlauchboot von mir. Ich hing unter dem Boden noch unter Wasser und war dabei, tief Luft zu holen, obwohl da noch Wasser war…. Leichte Panik hatte mich befallen, den tiefen Luftzug hab ich dann als übergroßen Schluck Wasser herunter geschluckt und mich mit wilden Armbewegungen vom Boot befreit. Holla, da ging mir kurz die Düse!

 

Erschrocken vom plötzlichen Erscheinen des Bootes, über den salzigen Schluck Wasser krallte ich mich an der Schnur des Bootes fest, rang nach Luft und beruhigte mich langsam wieder. Aus Angst, dass mich meine Eltern nicht mehr ins Wasser lassen würden, habe ich ihnen dieses aber verschwiegen…

 

Wir waren aber auch nicht nur am Strand, sondern machten einen Ausflug nach Pula. Pula ist eine überschaubare Stadt gewesen mit einem sehr schönen Altstadtkern und richtig romantischen Häusern. Überall blühten rote Kletterpflanzen, gesprächiges Treiben in den Straßen, Marktleben und dichter Autoverkehr in viel zu engen Straßen. Hier passierte dann das einschneidende Erlebnis meines damaligen Lebens:

Wir waren gerade auf dem Weg von der Altstadt in Richtung neuerem Teil, entlang einer leichten Kurve der doch recht breiten Straße. Da sagte ich zu meiner Mutter: Mama, hier bin ich schon mal gewesen, das weiß ich ganz genau! Meine Mutter lachte, schüttelte den Kopf und meinte, dass das nicht sein kann, ich würde das verwechseln! Okay, alte Städte habe ich schon viele gesehen….nur… ich schaute meine Mutter an und sagte: Doch, ich weiß, wenn wir diese Straße weiter gehen, kommen wir auf einen großen Platz, und auf diesem Platz steht ein Reiterdenkmal!

 

Doch meine Mutter wiegelte ab und vertröstete mich. Wir gingen weiter, überquerten eine Straße, machten nochmal einen leichten Bogen und dann öffnete sich ein großer Platz. Und am Ende des Platzes stand es, das gut 6 oder 8m hohe Denkmal eines Reiters auf seinem Pferd. Mein Gefühl war bestätigt und meiner Mutter stockte der Atem…. Das war das einzige Mal, an dem ich so ein Erlebnis hatte, doch an das erinnere ich mich noch heute…

 

Hier erfuhren wir auch, warum ausgerechnet heute so viel los war in der Stadt: Tito, der damalige Staatspräsident hatte sich für einen Besuch angesagt und hunderte von Menschen strömten zum Veranstaltungsort. Meine Eltern hatten jedoch weniger Interesse an so einem Menschenauflauf, und so machten wir einen Bogen durch den Hafen zurück zum Auto.

 

Die zwei Wochen waren so schnell vorbei, dass es einem wie eine Woche vorkam. Alles wieder eingepackt, das Auto aufgetankt, verabschiedeten wir uns von Alfred und seine Frau und starteten die Heimreise zurück an den Chiemsee. Triest noch bei Tag aus der Ferne gesehen, ab Richtung Ljubljana, Villach, Spittal, vorbei an den vielen hohen Bergen und tiefen Tälern nach Salzburg. Wir fuhren diesmal bei Nacht, um der Hitze etwas zu entfliehen und auch um dem Hauptverkehr auszuweichen. Ich weiß nicht mehr, sind wir in einem Stück durchgefahren oder hatten wir irgendwo nochmal eine Schlafpause eingelegt, ich weiß nur noch, es war eine riesen Freude bei mir, meine Freunde vom Campingplatz wieder zu sehen und Ihnen die ganzen Abenteuer aus dem Wilden Jugoslawien zu erzählen.

 

Es war ein ganz besonderer Urlaub für mich. Ich lernte zum ersten Mal ein Land kennen, in dem nicht meine Muttersprache gesprochen wurde, die Menschen deutlich ärmer als wir waren, aber dennoch glücklich und sehr freundlich! Entgegen aller Erwartungen wurde uns weder etwas aus dem Hotelzimmer gestohlen noch das Auto aufgebrochen. Es war ein Urlaub, der so bewegend war, dass ich mich heute noch an Einzelheiten erinnere.