Geht das überhaupt?

 

Ich, Jahrgang 62, hatte damals, als die Handy langsam gesellschaftsfähig, ich meine also bezahlbar wurden, auch eines. Den Klassiker von Nokia mit dem grauen Gehäuse. Ach war das ein Gefühl, man konnte von überall telefonieren oder SMS schreiben. Na gut, ich schränke mal ein, überall da, wo man ein Netz hatte. Das war nämlich bei weitem noch nicht so, dass man nahezu überall auch Empfang hatte.

 

Mit meiner damaligen Partnerin hatte es angefangen und es machte wirklich auch Spaß, sich hin und wieder eine Nachricht zu schicken. Das war nämlich noch ein richtiger Akt, so ganz ohne "T5" und "Wischtechnik", sondern wir mussten noch wirklich 3 mal auf die 3 drücken, bis der Buchstabe C im Display war, keine automatische Wortergänzung oder so, und selbst wenn, dann wählte das Programm meist das falsche aus. Aber es ging und von anfänglich 10 SMS im Monat wurden bald viele mehr, weil ja nun auch diese Hilfefunktionen bei der Wortsuche immer besser wurden. 

 

Das Handy, fast immer und überall dabei, fast wichtiger als der Geldbeutel. Und bald auch ist mein Chef auf die Idee gekommen, dass ja verschiedenen Mitarbeiter so ein Teil haben sollten, um immer und überall erreichbar zu sein, nicht nur am Arbeitsplatz, nein, auch in der Pause in der Cafeteria, im Raucherraum oder da, wo der Kaiser zu fuß hingeht. Kurzum, es war bald so, dass einen die Kunden und der Aussendienst nur noch auf dem Handy anrief, weil man da ja jemanden erreicht!

 

Eine Zeit lang machte ich das mit. Klar, war schon ein gewisser Abhebungsfaktor dabei, weil ja nur auserwählte in der Anfangszeit ein Handy bezahlt bekamen. Doch mit der Zeit wurde es lästig. Das Leben wandelte sich in manchen teilen schon so weit, dass dem Handy bald mehr Aufmerksamkeit geschenkt wurde als der Umwelt. Tja, da steht ein Mädel an der Bushaltestelle und telefoniert, als der Bus kommt, ein kreischen: Ja, ich seh dich!!! In der Tat, da konnten die Jungen und Mädels nicht mehr warten, bis sie sich um Bus trafen, nein, schon die 10 Minuten vorher musste geplappert werden...

 

Mal von den ganz abgefahrenen Möchte-Gern-Wichtigtuer, die wie wild so taten, als ob sie gerade in ganz wichtige Geschäfte verwickelt waren und dann plötzlich doch das Handy klingelte, es dauerte nicht lange, bis die Handys zumindestens in Kino und Restaurant einen gewissen Ablehnungsfaktor erzeugten.

 

Irgendwann, so zwischen 2010 und 2012 war zumindest bei mir der Punkt erreicht, dass ich das Handy mehr hasste als liebte. Ich habe es so manches Mal einfach ausgeschalten und weg gelegt und auch bewusst "vergessen", weil es mir zu blöde wurde, an den unmöglichsten Orten angerufen zu werden.  Zumal wir im Büro ein neues Telefonsystem bekommen haben, bei dem jeder per Mail über entgangene Telefonanrufe informiert wird mit Uhrzeit und Nummer und man bequem zurückrufen konnte. Ausserdem, wie oft rief ein Kunde an und wollte was wissen, was man eh im Netzwerk erst suchen und aufrufen muss, ich also fern des Arbeitsplatzes sowieso nicht helfen konnte. Und wie notiert man sich denn so eine Info, wenn man "irgendwo" im Haus ist?

 

Mit dieser Erkenntnis habe ich mein Handy und das Firmenhandy ausser Betrieb genommen und lebe seitdem ohne. Vor zwei Jahren fragte mich noch mein Chef, ob ich denn nicht lieber ein Smartphone möchte, damit ich von Unterwegs auch meine Mail checken kann???

 

Lieber Chef, es gibt Arbeitszeiten, da bin ich im Büro, dafür werde ich bezahlt und da kann man mich erreichen. Wenn ich aber um 16 Uhr oder wann auch immer meinen Rechner ausgeschalten habe, dann ist Ruhe angesagt. Ruhe vor Mails, vor Terminen, vor Anrufen oder was auch immer! 

 

Den letzten echten Handyanruf hatte ich vor rund zwei Jahren von einer Freundin, die ausser ihrem Handy noch ein Geschäftshandy und ein Ersatzhandy hat. Es hat mich schon einen kleinen Kampf gekostet und ich durfte mir eine gehörige Portion Vorwürfe anhören, wie ich mich da gegen den Fortschritt stelle! Und überhaupt, wie könne sie mich nun erreichen, wenn sie mir ganz dringend etwas sagen muss? Einfach zu Hause anrufen und auf meinen AB sprechen. Das ist das komische Ding, das für mich abnimmt, dich kurz begrüßt und dir dann bis zu einer Stunde die Möglichkeit gibt, mir die unaufschiebbaren Informationen mitteilen zu können.

 

Es ist erstaunlich, ich dachte zuerst, ab sofort wird mein AB in Dauerschleife gehen, aber nein, das Gegenteil ist der Fall. Wenn ich zwei Nachrichten pro Woche habe, ist das schon hoch gerechnet. Alle haben mittlerweile verstanden, wie man mich auch noch erreichen kann. Und wenn man mich mal nicht erreichen kann, dann hat das seinen Grund oder ich will das so.

 

Nein, ich habe kein Handy mehr, kein Smartphone, kein Tablet am Wohnzimmertisch liegen (Hab ich auch ausprobiert und nach einem halben Jahr entstaubt und wieder verkauft), sondern nur einen ganz normalen PC hier am Schreibtisch. 

 

Man lebt entspannt, entschleunigt und stellt fest, dass man sehr oft gar nicht so viel wissen will, wie viele meinen wissen zu müssen, um überleben zu können. Zumindest bleibt einem viel Müll erspart!